Radentscheid Groß-Gerau

Stellungnahme zu zwei Aussagen von Herrn Bürgermeister Walther

im Artikel im Groß-Gerauer Echo „Stadt Groß-Gerau fällt bei Fahrradklima-Test zurück“ vom 26. März 2021

(https://www.echo-online.de/artikel_23403964)

Fahrradklimatest

Im Artikel von Herrn Monzheimer wird faktenbezogen darauf hingewiesen, dass sich die Ergebnisse des Fahrradklimatests für Groß-Gerau negativ entwickeln: „2014 belegte die Stadt in ihrer Größenklasse (20.000 bis 50.000 Einwohner) hessenweit noch den vierten Platz (Durchschnittsnote 3,19). Danach ging es bergab. 2016 reichte es mit ebenfalls 3,19 noch für Platz 7, 2018 mit der Note 3,59 noch zu Platz 9. Jetzt ist Groß-Gerau auf Platz 11 zurückgefallen, auch die Note hat sich auf eine 3,7 verschlechtert.“ (Groß-Gerauer Echo, 26.03.2021)

Darauf angesprochen, verweist Herr Walther als erstes darauf, dass der Fahrradklimatest „nicht repräsentativ“ sei. Hätte er das auch gesagt, wenn die Ergebnisse besser gewesen wären?

Die Frage ist, wofür der Fahrradklimatest "repräsentativ“ sein soll. Er ist nicht repräsentativ für die Einwohner von Groß-Gerau. Er will das nicht sein und der ADFC bzw. das Bundesverkehrsministerium, in dessen Auftrag der Fahrradklimatest regelmäßig durchgeführt wird, behaupten auch nicht, dass er es sei.

Der Fahrradklimatest richtet sich zur Bewertung der Fahrradfreundlichkeit nicht an Alle, sondern an diejenigen, die mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren und von denen angenommen werden kann, dass sie die Situation einschätzen können. Er wendet sich in erster Linie an aktive „Alltagsexperten.“
Es geht beim Fahrradklimatest auch nicht um „objektive“ Aussagen, sondern um subjektive Wahrnehmungen. Der ADFC-Fahrradklimatest ist also keine repräsentative Befragung, sondern eine sogenannte selbstselektive Stichprobe.

Dennoch sind die Ergebnisse auch für Orte mit geringen Teilnehmerzahlen meist sehr aussagekräftig. Grund dafür ist eine Besonderheit beim ADFC-Fahrradklimatest: Auch sehr unterschiedliche Personengruppen bewerten ihre Stadt fast immer gleich. Das betrifft sogar die ADFC-Mitglieder im Vergleich zu den Nichtmitgliedern. Die konkrete Zusammensetzung der Stichprobe einer Stadt ist also wenig entscheidend für die Bewertung. Es gibt inzwischen auch viele Beispiele dafür, dass die Ergebnisse des Fahrradklimatests mit den Resultaten aus anderen Studien und lokalen Untersuchungen übereinstimmen.

Es zeugte von Professionalität, wenn die Ergebnisse des Fahrradklimatests von Politik und Verwaltung in Groß-Gerau ernst genommen würden. Denn die Testergebnisse sind kein Selbstzweck, sondern eine Einladung an die Stadt, sich mit den Ergebnissen ernsthaft und im Dialog mit der Bürgerschaft auseinander zu setzen. Leider war das in der Vergangenheit nicht der Fall.

Der ADFC Kreis Groß-Gerau hat selbstverständlich die Ergebnisse des letzten Fahrradklimatests aus dem Jahre 2018 an die Stadtverwaltung geschickt und darum gebeten, sich den vielfältigen Problemen anzunehmen. Wir haben leider keine Antwort erhalten. Als Radentscheid setzen wir uns dafür ein, dass dies diesmal anders wird, d.h. dass die Hinweise der Bürgerinnen und Bürger beachtet werden.

Radentscheid

Herr Walther ist der Auffassung, dass die Initiative für einen Radentscheid mit „unfairen und verzerrenden Darstellungen“ arbeiten würde, was etwa die Ausgaben der Stadt für den Radverkehr angehe.

Wir bedauern natürlich, dass bei unserem Bürgermeister dieser Eindruck entstanden ist. Wir arbeiten transparent, laden alle Bürgerinnen und Bürger ein, sich am Radentscheid zu beteiligen und somit natürlich auch die Inhalte und die Richtung mit zu bestimmen. Das gilt auch für Stadtverordnete und auch für Herrn Walther.

Die im Radentscheid formulierten Ziele halten wir keineswegs für unfair, sondern für politisch aktuell und vernünftig, für (aus pragmatischen Gründen) eher zu wenig als zu sehr ambitioniert und – den guten Willen der Stadtpolitik vorausgesetzt – für machbar, also für realistisch.

Die in unserem Flyer angegebenen Summe haben wir dem Haushaltsplan-Entwurf 2021 entnommen. Andere Informationen waren uns nicht zugänglich. Die Stadtverwaltung hat anscheinend selbst keinen Überblick, da sie jetzt erst die Beträge zusammentragen will, die sie für die Radverkehrsinfrastruktur ausgibt bzw. in den letzten Jahren ausgegeben hat.

Die Berechnung selbst ist sicherlich nicht einfach zu bewerkstelligen, denn es muss dabei differenziert werden zwischen Kosten, die die Stadt selbst trägt und Kosten, die durch Förderungen und Kostenbeteiligungen anderer finanziert werden. Auch können sich in den Gesamtkosten einzelner Straßen- oder Brückenbauprojekte Kostenanteile für die die Radverkehrsinfrastruktur „verbergen“.

Wir sind auf das Ergebnis natürlich sehr gespannt und hoffen, dass es mehr ist, als wir nach den uns zugänglichen Informationen erfahren konnten. Wir würden eine solche transparente Aufstellung sehr begrüßen und auch als einen Erfolg des Radentscheids ansehen, denn transparente Angaben zu den städtischen Ausgaben für den Radverkehr gehören zu unserem Ziel „Mehr Bürger*innenbeteiligung“.

Bis 2023 werden jährlich vom Land Hessen 23,5 Mio. Euro, d.h. insgesamt 70,5 Mio. Euro im Rahmen der Nahmobilitätsrichtlinie und des Mobilitätsfördergesetzes den Kommunen zur Förderung des Radverkehrs zur Verfügung gestellt. Der Bund ermöglicht mit dem Sonderprogramm Stadt und Land bis 2023 den Kommunen 43,9 Mio. Euro Investitionen in die Fahrradinfrastruktur. Zusätzlich dazu stehen 2021 8 Mio. Euro, 2022 und 2023 jeweils 13 Mio. Euro für Radwege an Landesstraßen zur Verfügung. Weitere Fördermöglichkeiten kommen hinzu.

Die AG Nahmobilität Hessen (AGNH) informiert detailliert über die Fördermittel des Landes Hessen und des Bundes und gibt Hilfestellungen bei der Beantragung dieser Fördermittel. Qualitätsstandards und Musterlösungen ergänzen den Weg zur Planung und zum Bau von Radwegen und anderer Elemente der Radverkehrsinfrastruktur. Als Radentscheid wünschen wir uns, dass auch die Stadt der AGNH rasch beitritt, was kostenlos möglich ist.

In dieser Situation stellt sich uns die Frage, die wir an die Stadt richten: Welche Ideen und Pläne gibt es derzeit, um an diesen in dieser Höhe noch niemals da gewesenen Fördergeldern zur Steigerung der Lebensqualität der Menschen durch eine Förderung des Radverkehrs und indirekt auch des Fußverkehrs in unserer Stadt zu partizipieren?

Der Radentscheid ist der Auffassung, dass mit Eigenmitteln von jährlich 400.000 Euro Investitionen in Höhe von 2 Mio. Euro getätigt werden könnten, wenn es der Stadt gelänge, Förderprogramme (Annahme: mit einer Förderquote von 80 Prozent) in Anspruch zu nehmen. Auch wenn es nicht möglich sein sollte, diese Gesamtsumme vollständig auszuschöpfen, so dürfte die Kombination von Eigen- und Fördermitteln ausreichen, damit Groß-Gerau bis 2025 eine Stadt wird, mit

wie wir uns das mit unserem Radentscheid erhoffen – und mit mehr Bürger*innen-Beteiligung bei Planung und Umsetzung.

Nach den Kommunalwahlen führen die Parteien untereinander Sondierungsgespräche. Nach Auffassung des Forums Verkehrswende sowie des Radentscheids müssen in die Vereinbarungen jener Parteien, die die Verkehrspolitik gestalten wollen, die oben und im Radentscheid genannten Ziele aufgenommen werden.

Es ist zweifelsohne so, dass die Bedingungen für den Radverkehr in den letzten Jahren in Groß-Gerau verbessert wurden, worüber wir uns freuen und was wir anerkennen. Allerdings muss unseres Erachtens mehr getan werden und es muss schneller vorangehen. Wir raten der Stadt auch dazu, dass, was gemacht wurde und was geplant ist, gegenüber der Bürgerschaft transparenter und attraktiver als bisher zu kommunizieren, denn dadurch würde sich die öffentliche Wahrnehmung der Aktivitäten sicherlich verbessern.

An einer konfrontativen Auseinandersetzung sind wir nicht interessiert. Wir laden Herrn Bürgermeister Walther ganz herzlich ein, sich ernsthaft mit unseren Vorschlägen zu befassen und Groß-Gerau gemeinsam mit den Bürger*innen als nachhaltigere und wohnlichere Stadt mit mehr Lebensqualität, weniger CO2-Ausstoß, Verkehrslärm und Staus zu gestalten.

Gemeinsam kommen wir weiter!

Initiative Radentscheid Groß-Gerau, 31.03.2021

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